Ein Paar praktiziert Kommunikation auf Augenhöhe

Ihr wollt an der Kommunikation arbeiten?

Die meisten Paare, die in die Beratung kommen, wünschen sich, ihre Kommunikation zu verbessern. Dabei geht es häufig darum, Streit und Eskalation zu vermeiden. Viele glauben sie müssten an ihrer Kommunikation arbeiten, indem sie besondere Techniken lernen, wie zum Beispiel aktives Zuhören. Es stellte sich jedoch heraus, dass diese nur bedingt weiterhelfen, und hier teile ich heute einen Ansatz, der erklärt, warum und worauf man stattdessen achten sollte.

Das Scheitern ist vorhersehbar

John Gottman, ein amerikanischer Beziehungsexperte, wollte wissenschaftlich festhalten, was gesunde Beziehungen ausmacht und hat dafür unzählige Paare in seinem „LoveLab“ beobachtet. Seine Beobachtungen halfen zu verstehen, wie Konflikte bei Paaren entstehen und was den Unterschied macht zwischen einem konstruktiven Streit – den es auch geben darf – und einem sogenannten apokalyptischen Reiter in der Beziehung. So nannte Gottman die Formen der Kommunikation, die nach seinen Messungen jede Beziehung früher oder später zum Scheitern bringen. Er erkannte 4 apokalyptische Reiter und stellte fest, dass jeder Versuch an der Kommunikation zu arbeiten scheiterte, solange diese nicht erkannt und vermieden wurden.

Heute erläutere ich, welche diese 4 apokalyptischen Reiter sind und wie man sie vermeiden kann.

  1. Kritik

Kritik, die über die Beschwerde hinausgeht und den Charakter oder die Persönlichkeit des Partners angreift, kann sehr schädlich sein. Anstatt spezifische Verhaltensweisen zu kritisieren, wird der Partner als Person abgewertet.

Zum Beispiel:

– „Du hilfst nie im Haushalt!“

– „Du ruinierst alles, was wir aufgebaut haben!“

– „Du hörst mir nie zu, du bist so egoistisch!“

Kritik zeigt sich durch verallgemeinernde Aussagen („nie“ oder „immer“), den Angriff des Charakters der anderen Person (egoistisch, unaufmerksam, eigensinnig, etc.) oder Anschuldigungen (deinetwegen). Es geht darum, den Partner in seiner „Falschheit“ zu korrigieren. Dadurch stellt man sich automatisch über den anderen, was die Kommunikation auf Augenhöhe verhindert, die für eine konstruktive Konfliktlösung wichtig ist.

Konstruktive Alternativen zur Kritik

– „Ich fühle mich überfordert mit den Hausarbeiten. Können wir darüber sprechen, wie wir die Arbeit besser teilen können?“

– „Ich habe Angst, dass wir gerade aufs Spiel setzen, was wir gemeinsam aufgebaut haben, und möchte mit dir eine Lösung finden. Lass uns zusammensetzen und überlegen, wie wir die Situation verbessern können.“

– „Ich würde mir wünschen, dass du mir mehr zuhörst, wenn ich über meinen Tag erzähle. Es ist mir wichtig, dass wir miteinander im Gespräch bleiben.“

Es ist also wichtig, direkte Angriffe und Verallgemeinerungen zu vermeiden. Stattdessen sollte sich jeder auf das spezifische Verhalten konzentrieren, das einen stört und die eigenen Beobachtungen und Bedürfnisse dazu ausdrücken, ohne den anderen zu verurteilen. Dadurch bleibt die Kommunikation respektvoll und lösungsorientiert.

  1. Verachtung

Verachtung zeigt sich durch respektlose Kommentare, Sarkasmus oder herablassendes Verhalten. Es signalisiert dem Partner, dass er oder sie minderwertig ist.

Zum Beispiel: Augenrollen, Spott oder abfällige Bemerkungen wie:

– „Von wegen, du schaffst das nicht allein, du bist dir einfach zu fein dafür.“

– „Du hast halt einfach nicht gelernt, mit Geld umzugehen, jetzt hast du das Problem.“

– „Jetzt musst du wieder schreien. Du kennst wohl von zu Hause keine andere Sprache, da macht es gar keinen Sinn, eine vernünftige Konversation zu führen.“

Beziehung stärken bedeutet oft Selbstschutz in Frage stellen

Verachtung ist meist eine Schutzreaktion, die man in anderen Bereichen wie der Herkunftsfamilie, unter Geschwistern, in der Schule oder im Arbeitsumfeld als ganz normal vorgelebt bekam. Sie schützt einen davor, selbst verachtet oder minderwertig behandelt zu werden. In der Partnerschaft ist es jedoch wichtig, dass beide Partner sich auf Augenhöhe begegnen, das heißt mit Respekt und Vertrauen. Denn nur so können sich beide sicher fühlen. Dabei darf jeder auch mal Fehler machen. Wenn Zweifel an dem aufkommen, was der Partner tut oder nicht tut, bzw. man seine Werte und Handlungen in Frage stellt, sollte man tatsächlich erstmal fragen, statt anzuklagen oder zu verurteilen.

  1. Abwehr und Rechtfertigung

Abwehrverhalten tritt auf, wenn man sich ständig rechtfertigt und die Schuld auf den Partner schiebt, anstatt Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen.

Zum Beispiel:

– „Es ist nicht meine Schuld, dass wir zu spät sind, du hast mich aufgehalten!“

– „Hättest du mich mal früher daran erinnert, hätte ich es auch nicht vergessen.“

– „Ich arbeite ja nicht nur für mich so lange, sondern auch euretwegen.“

Rechtfertigung wird ausweglos

Wenn man sich rechtfertigt, übernimmt man keine Verantwortung für das eigene Verhalten. Dies kann dazu führen, dass sich der Partner nicht ernst genommen fühlt und das Vertrauen und die Intimität in der Beziehung geschwächt werden. Konflikte verschärfen sich, anstatt sich zu lösen, wenn beide Partner versuchen, ihre Unschuld zu beweisen. Über kurz oder lang verhindert dies, dass Paare offen und ehrlich miteinander sprechen. Wenn man lernt, dass der Partner mit Abwehr reagiert, kann das dazu führen, dass man bestimmte Themen irgendwann auch nicht mehr anspricht einfach um die frustrierende Diskussion zu vermeiden.

Rechtfertigungen sind verpasste Möglichkeiten

Indem man sich rechtfertigt, verpasst man die Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen und persönliches Wachstum zu erfahren. Dies kann langfristig das individuelle und gemeinsame Wachstum als Paar behindern.

Eine Alternative zur Rechtfertigung könnte sein:

– „Es tut mir leid, dass wir zu spät sind. Ich hätte früher losfahren sollen. Das nächste Mal werde ich besser planen.“

Dies zeigt, dass man Verantwortung übernimmt, die Bedürfnisse des anderen ernst nimmt und bereit ist, aus der Situation zu lernen.

  1. Mauern

Mauern bedeutet, dass sich ein Partner emotional zurückzieht und die Kommunikation verweigert. Dies kann als Fluchtreaktion auf Konflikte und Stress erfolgen. Während Kritik schon im Anfangsstadium einer Beziehung stattfinden kann, ist Mauern meist eine Konsequenz aus den früheren fehlgeschlagenen Diskussionen. Entfernen sich Paare aufgrund von Kritik, Verachtung und ständigem Abwehrverhalten immer mehr voneinander, wird Mauern oft eine Schutzreaktion aus Hilflosigkeit. Partner weigern sich dann irgendwann zu sprechen, verlassen den Raum, wenn sie das Gefühl haben, es geht wieder los, oder schalten ab.

Wer mauert sieht oft keine Alternative mehr

Zu versuchen, die Mauer zu durchbrechen, beispielsweise durch verstärktes Klagen, Schreien oder Fordern, verschärft das Schutzverhalten meist nur. Ist einer der Partner also erstmal beim Mauern, wird es sehr schwer für das Paar, die Situation untereinander wieder zu lösen, denn das Vertrauen in die gemeinsamen Fähigkeiten ist zu stark geschwunden.

Stellen einer oder beide Partner fest, dass sie immer mehr in den Rückzug gehen und nicht wissen, wie sie überhaupt noch mit ihrem Partner reden können, ist die beste Alternative meistens, sich Hilfe von außen zu holen.

Die Kommunikation ist nur das Symptom

Diese vier apokalyptischen Reiter – Kritik, Verachtung, Abwehr und Mauern – kommen zwar durch unsere Kommunikation zum Ausdruck, doch wie vielleicht schon durch ihre Erläuterung klar wurde, steht viel mehr dahinter. 

Erlerntes Rollenverhalten, persönliche Erwartungen, Schutzreaktionen und Themen wie Vertrauen und Verletzlichkeit können dazu beitragen. Wie wird der Partner gesehen? Welche Bedeutung hat die Beziehung für jeden einzelnen? und wie hoch ist die Bereitschaft sich auf Augenhöhe zu begegnen? Dabei ist wichtig die Hintergründe auf beiden Seiten zu verstehen. Merkt man zum Beispiel, dass einem alternative Kommunikationsansätze sehr schwer fallen, kann dies auch daran liegen, dass es sich ungewohnt oder befremdlich anfühlt oder man sogar das Gefühl bekommt sich zu verletzlich zu machen. Dafür kann es verschieden Gründe geben, die in einzel- oder Paartherapie in einem geschützten Raum besprochen werden können.  

Meine persönliche Einschätzung

Ich habe die Hypothese Gottmans hier geteilt, da ich finde, dass sie sehr passend beschreibt, wie Kommunikation oft nur die Spitze des Eisbergs darstellt. Außerdem begegne ich seinen vier apokalyptischen Reitern sehr häufig in meiner Beratung und merke, wie sie nicht nur der Beziehung, sondern auch beiden Partnern in ihrem persönlichen Wohlbefinden schaden. Wer sich in diesen Schilderungen wiedergefunden hat und das Thema gerne vertiefen möchte, darf sich gerne bei mir melden.

de_DEDeutsch